Greifbare Zeit

Archäologie und Denkmalpflege auf der Insel Rügen

Kategorie-Archiv: Baudenkmale und Kunst

Neues vom slawischen Bildstein in Bergen auf Rügen

Als im Jahre 2006 die Stadt Bergen auf Rügen den Klosterhof und den Platz vor der Marienkirche neu gestalten ließ, bot sich die Gelegenheit, einen Blick auf die freigelegten Fundamente im Bereich des slawischen Bildsteins zu werfen. Der von J. J. Grümbke 1819 erstmalig beschriebene Stein zeigt einen Slawen in mittelalterlicher Tracht. Die Oberfläche ist stark verwittert. Ein Kreuz oder Trinkhorn, das die Person in der Hand hielt, ist nicht mehr zu sehen. Das 2006 aufgenommene Foto zeigt das Fundament (a) und die nordwestliche Ecke (b) des monumentalen Westbaus, in den der Bauherr Jaromar I. um 1200 eine Gerichtshalle und eine Fürstenempore integrierte. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ließen Adlige aus Neklade eine Kapelle als Erbbegräbnis anbauen. Der Anbau erhielt ein schwaches Fundament aus Geröll, Ziegelbruch und dem Bildstein (c). Die Bauleute richteten die Figur aus und festigten die Standsicherheit mit einem Fußrahmen aus länglichen, im Fundament verankerten Graniten. Darüber zogen sie eine Mauer aus Backsteinen im wilden Verband hoch (d). Die Kanten der Backsteine zur Figur passten sie sorgfältig an. Zu einem unbekannten Zeitpunkt erfolgte eine Reparatur (e) und im 19. Jahrhundert der Anbau eines Stützpfeilers (f). Woher stammte der Stein und was bewog die Adligen aus Neklade, ihn hier einmauern zu lassen? Die nächsten Vergleichsfunde stammen aus dem Gebiet bei Danzig an der Weichselmündung, wo sie häufiger zu finden sind. Kam der Bildstein vielleicht nur zufällig (z.B. als Ballast in einem Handelsschiff) nach Rügen? Mit Jaromar I. und seiner Kirche hatte er sicher nichts zu tun.

Stratigraphische Lage des slawischen Bildsteins.
Stratigraphische Lage des slawischen Bildsteins.

Das Architekturarchiv in Binz

Das Ostseebad Binz übt nicht nur mit vielen Gebäuden aus der Epoche der Bäderarchitektur eine große Anziehungskraft aus, sondern hat auch mit herausragenden Schöpfungen der NS-Monumentalarchitektur und des Betonschalenbaus wegweisende Akzente gesetzt. Wer tiefer in die Bäderarchitektur von Binz eindringen möchte, kann im Bauamt der Gemeinde auf ein umfangreiches Archiv der originalen Bauakten aus der Zeit um 1900 zurückgreifen. Pläne und Bauakten werfen Licht auf den Ablauf des Baugenehmigungsverfahrens in der Kaiserzeit.

Binz, Strandpromenade 30. Bauzeichnung für einen Anbau 1909.

Hier ein Beispiel: Februar 1909 verfasste der als „Techniker“ bezeichnete Architekt R. Lockenvitz aus Putbus die „Zeichnung eines Verandaanbaues am Wohnhause für Frau Dr. Kunigk in Binz“. Das verwendete Transparentpapier ist ein heute nicht mehr gebräuchliches, sehr knittriges, rissiges Gewebe. Die Unterschrift des Architekten steht rechts unten, daneben die Unterschrift der Bauherrin Frau Dr. Kunigk. Darüber erläutert ein Planausschnitt die Lage des Vorhabens und die Nachbarbebauung. Es handelt sich um einen Anbau an dem Haus Undine, Strandpromenade 30. Die übrige Zeichnung stellt die Ansicht, den Grundriss und den Schnitt des geplanten Anbaus farbig dar. Die freien Stellen der Bauzeichnung füllen handschriftliche oder gestempelte Vermerke der Behörden, Siegelstempel und eine (abgefallene) Gebührenmarke. Gemeindeassesor Seelmann von der Gemeinde Binz bestätigte Anfang März 1909 die Richtigkeit des Lageplans. Die baupolizeiliche Genehmigung siegelte Ende März der Amtsvorsteher des Amtes Putbus-Grafschaft.

Für einen Soldaten allein – Das Kriegerdenkmal Samtens

Die meisten Toten des 1. Weltkriegs fanden ihre letzte Ruhe auf Massenfriedhöfen in der Nähe der Schlachtfelder Belgiens und Frankreichs. Nur wenige Grabstätten hoben sich durch eine besondere Ausstattung heraus. Ein solcher Fall scheint in Samtens, in einem ungepflegten Wäldchen zwischen dem Ort Samtens und dem Gutshaus Plüggentin, vorzuliegen. In einem rechteckigem, mit Findlingen umstellten Feld, erhebt sich auf einem Betonsockel ein über drei Meter hoher erratischer Block. Bohrlöcher von Dübeln an der Spitze und in der Mitte legen nahe, dass an der Ostseite ursprünglich ein Eisernes Kreuz und eine Inschrifttafel angebracht waren. 85 Meter westlich des Denkmals steht ein weiteres Steinobjekt, ein rechteckig behauener, 1,60 Meter hoher Grabstein aus Granit auf einem niedrigen Sockel. Auch bei diesem Monument zeugen Vertiefungen im Stein und Dübellöcher von ehemals angebrachten Inschrifttafeln. Der heutige Zustand der Umgebung täuscht, denn die Ausgabe von 1925 des preußischen Messtischblatts zeigt die Denkmale in einer kunstvoll gestalteten Parkanlage. Vorher befand sich an der Stelle eine Ackerfläche und eine Windmühle. Wer war der Schöpfer dieses aufwändigen Ensembles? Eigentümer des Grundstücks war seit 1916 der Gutsherr auf Plüggentin Gerhard Sprickerhof. Es ist also naheliegend, dass ein im 1. Weltkrieg gefallenes Mitglied dieser Familie hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Samtens, Insel Rügen. Lageplan der Grabanlage .

Samtens, Insel Rügen. Lageplan der Grabanlage .

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Samtens, Insel Rügen. Das Kriegerdenkmal von Süden.

Ein kleines Wirtschaftswunder

Die Entdeckung von Kreidelagerstätten führte im 19. Jahrhundert zu einem kleinen Wirtschaftswunder im Raum Garz. Bei Altkamp, Dumsevitz und Preseke entstanden Schlämmkreidefabriken. Wirtschaftsbahnen und Frachtschiffe transportierten die im Tagebau oder im Nassbaggerverfahren geförderte Kreide zu den Zementfabriken im Odermündungsgebiet. Die Betriebsanlagen sind im Laufe der Zeit alle verschwunden, bis auf eine kleine Betonbrücke bei Dumsevitz. Sie wurde 2016 unter Denkmalschutz gestellt.

Dumsevitz, Insel Rügen. Schlämmkreidefabriken des 19. Jahrhunderts im Raum Garz.

Dumsevitz, Insel Rügen. Schlämmkreidefabriken des 19. Jahrhunderts im Raum Garz.

Dumsevitz, Insel Rügen. Brücke der Kreidebahn über die Beek.

Dumsevitz, Insel Rügen. Brücke der Kreidebahn über die Beek.

Trauriges Mädchen in Binz

In der Ausgabe vom 21. März 2017 berichtete die Ostsee-Zeitung von einer Streetart-Darstellung, welche in Mainz für Beachtung und Aufregung gesorgt hat. Das Graffiti zeigt ein trauriges Mädchen, mit wenigen Strichen an die Wand gesprüht. An einem verkommenen, abrissreifen Haus an der Strandpromenade in Binz habe ich das Mädchen 2015 auch auf der Insel Rügen entdeckt; direkt neben dem Hintereingang.

Binz, Insel Rügen. Trauriges Mädchen am Hintereingang.

Binz, Insel Rügen. Trauriges Mädchen am Hintereingang.

Fort Grahlhof

An das Ende des 19. Jahrhunderts oberhalb der Grahler Fähre errichtete preußische Fort Grahlhof erinnert heute nur noch das Wallmeisterhaus, denn nach der Aufgabe ließ der Käufer des Grundstücks die Gräben und Wälle vollständig einebnen. Nach Entwurfsplänen im Geheimen Staatsarchiv Berlin handelte es sich um ein sogenanntes Einheitsfort, den damaligen Standardtyp für Festungsbauten im Deutschen Reich. Einzelheiten zum Bau und sogar zum leitenden Bauingenieur überlieferte der Stralsunder Museumgründer Rudolf Baier (1818-1907) in seiner Schrift Die Insel Rügen nach ihrer archaeologischen Bedeutung (Stralsund, 1896). Er berichtete von einem geologischen Objekt, welches 1880 beim Bau des Stralsund gegenüber gelegenen Forts Grahlhof im Lehmboden gefunden und von dem den Bau leitenden Ingenieuroffizier, Premierlieutnant John, dem Museum als Geschenk überwiesen wurde.

rahlhof, Insel Rügen. Rayon-Plan des Forts (Ausschnitt). Geheimes Staatsarchiv Berlin.

Grahlhof, Insel Rügen. Rayon-Plan des Forts (Ausschnitt). Geheimes Staatsarchiv Berlin.

Spuren der Firma DEUBAU im KDF-Seebad Prora

Auf der Baustelle der Kraft durch Freude Organisation in Prora auf Rügen arbeiteten zwischen 1938 und 1939 die acht größten Baufirmen der damaligen Zeit. Nach Grit Brosowski hatte jede Firma ein Bettenhaus zu errichten. Bisher war nicht bekannt, welche Firma die heute noch erhaltenen Blöcke 1-5 erbaut hat. Bei der Besichtigung des unterirdischen Versorgungstunnels, der sich durch den gesamten Baukomplex hindurchzieht, fand sich jetzt ein Hinweis. In Block 1 verwendete die Baufirma Schalbretter mit ihrem Firmenlogo DEUBAU, welches sich spiegelbildlich im Beton abzeichnete.

Prora KDF-Seebad, Insel Rügen. Abdruck eines Schalbretts der Firma DEUBAU.

Prora KDF-Seebad, Insel Rügen. Abdruck eines Schalbretts der Firma DEUBAU.

Berühmte Pferde, berühmte Reiter

Zwischen Volkshagen und Boldevitz liegt am Naturdenkmal Muttereiche ein Pferdefriedhof der Gutsherren von Boldevitz mit sechs Grabsteinen, von denen nur noch zwei lesbar sind. Der größere von beiden Steinen zeigt eine interessante Inschrift, die sich vermutlich auf die Völkerschlacht von Leipzig (16.-19.10.1813) bezieht:

MISS
LIEGT HIER BE
GRABEN IN MEH
REREN FELD
ZÜGEN HAT SIE
MICH TREU
GETRAGEN
IM FELDZUGE
1813 WARD SIE
SCHWER BLESSIRT

An berühmte Reiter, die zwischen 1927 und 1935 den Reitertod fanden, erinnert eine Bronzetafel im Park von Putbus. Die Inschrift lautet:

Es starben den Reitertod
im sportlichen Wettkampf
für Deutschland:
Friedrich Sigismund von Preussen Luzern 6. VII 1927
Carl Friedrich Freiherr von Langen-Parow Döberitz 2. VIII 1934
Axel Holst Berlin 2. I 1935

Putbus, Insel Rügen. Denkmal für tödlich verunglückte Reiter.

Putbus, Insel Rügen. Denkmal für tödlich verunglückte Reiter.

KDF-Gefolgschaftswohnungen in Binz

Im Archiv der unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Vorpommern-Rügen befindet sich ein vom 30. November 1940 datierter Plan aus dem Büro der nationalsozialistischen „Bau- und Betreuungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront“ mit der Überschrift: „KDF-Seebad Rügen, Gefolgschaftswohnungen in Binz“. In dem Dreieck zwischen Proraer-Chaussee, Dollahner Straße und Bahnhof ist eine mit Plätzen und Vorgärten gegliederte Anlage für 200 Wohneinheiten dargestellt. Die Planungen deuten darauf hin, dass die KDF-Organisation – vermutlich angesichts der militärischen Erfolge im Westfeldzug – auf eine Fortsetzung der Baumaßnahmen am Seebad in Prora hinarbeitete. Ein Vergleich mit der heutigen Bebauung in Binz zeigt jedoch, dass die Planungen nicht zur Ausführung kamen.

Binz, Insel Rügen. KDF-Seebad Prora. Geplante Gefolgschaftswohnungen.

Binz, Insel Rügen. KDF-Seebad Prora. Geplante Gefolgschaftswohnungen.

Wer denkt noch an Dr. Hugo Sholto Graf von Douglas?

Einige der Gutsherren des 19. und 20. Jahrhunderts wählten ihre letzte Ruhestätte nicht auf dem Friedhof, sondern in der Nähe ihres Wohnortes. Nordwestlich des Festspielgeländes von Ralswiek entdeckte ich 2007 das völlig verfallene Grab des Großindustriellen Dr. Hugo Sholto Oskar Georg Graf von Douglas (1837-1912), dem Erbauer des Schlosses, des Parks und der skandinavischen Stabkirche in Ralswiek auf der Insel Rügen.
Im dichten Unterholz zeichnet sich ein quadratischer, mit Ilex gesäumter, ca. 20 m breiter Platz ab, der mit einem eisernen Gitter verschlossen ist. Am Ende erhebt sich auf einem Sockel ein Kreuz aus rotem Granit. Davor liegt ein umgefallenes Kreuz mit der Grabinschrift. Die unterirdische Gruft ist eingebrochen und mit Schutt gefüllt.

Ralswiek, Insel Rügen. Grabanlage von  Hugo Sholto Oskar Georg Graf von Douglas.

Ralswiek, Insel Rügen. Grabanlage von Hugo Sholto Graf von Douglas.